Die Suche nach Gründen für sexuelle Neigungen ist seit den frühen Zeiten der Psychoanalyse nie aus der Mode gekommen. Bei den Fallbeschreibungen in Büchern wie der
Psychopathia sexualis von Richard von Krafft Ebing hatte ich oft den Eindruck, dass wer nur gründlich genug sucht, immer einen potentiellen Auslöser findet.
Um mal hier im Thread zu bleiben. Als möglicher Auslöser für Flagellantismus wird sowohl angeführt, dass derjenige als Kind geschlagen wurde und es nun nachspielt, als auch, dass derjenige als Kind nicht geschlagen wurde und das nun nachholen will. Kurz gesagt, egal wie die Kindheit verlief es liegt immer ein schlüssiger Grund griffbereit.
Ein Klinikfetisch ist ganz sicher die Folge von Doktorspielen mit den Klassenkameradinen und -Kameraden in der Grundschulzeit. Aber warum hat nur ein Bruchteil davon später einen solchen entwickelt?
Auch bestimmte psychiatrische Prädispositionen werden oft in völlig logischen Konstrukten mit einem gehäuften Auftreten von Neigungen aus dem BDSM- und Fetischbereich in Zusammenhang gebracht. Interessanterweise in aller Regel ohne dass auch nur Ansatzweise untersucht wird, ob sich in der Realität entsprechende Häufungen wiederfinden. Hier mal eine Auswahl aus wenigen Minuten Internetrecherche:
- Bipolare Störung (manische depressiv)
In der manischen Phase deutlich überhöhte Selbstsicherheit -> Sexuelle Dominanz als Folge der Selbstsicherheit.
In der manischen Phase deutlich überhöhte Risikobereitschaft -> Masochismus als Ausdruck von 'Mir passiert schon nichts'
- (monopolare) Depression:
In einer tiefen Depression verschwindet das Gefühl für einen selbst im grauen Nebel. Normale Reize genügen nicht, um sich zu fühlen -> Masochismus kommt gehäuft vor, da sich die Betroffenen damit kurzfristig wieder spüren können.
- Borderline-Persönlichkeitsstörung:
Starker Drang andere an sich zu binden oder sie zu verstoßen. -> Sexuell dominante Rolle kommt dem entgegen.
BPS ist überdurchschnittlich häufig begleitet von selbstverletzendem Verhalten: -> Masochismus als Möglichkeit den Schmerz zumindest innderhalb einer Randgruppe gesellschaftlich akzeptiert zu empfinden.
- Autismus-Spektrum-Störung (insbesondere HFA & Asperger-Typ)
Komplizierte menschliche Interaktion wird ersetzt durch festgelegte Regeln. Gründliche rationale Absprachen im Vorfeld ersetzen die Notwendigkeit, das Gegenüber und sich selber ständig erfühlen zu müssen -> Dominant/Submissiver Bereich attraktiv, da überschaubar
Ersetzen komplexer unvorhersehbarer Sinneseindrücke durch einfache, selbst wählbare Reize -> Materialfetisch ist attraktiv, da sich z.B. Latex immer wie Latex anfühlt
- ADHS:
Betroffene nutzen oft extreme Erlebnisse und starke Reize um den zu niedrigen Dopaminspiegel in den 'Normalbereich' hochzutreiben. -> Masochismus mit starken Schmerzreizen liegt nahe
Betroffene suchen nach externen ordnenden Systemen, da das Selbstmanagement für sie schwierig ist -> Der submissive Bereich ist attraktiv, da die Herrin das Spiel ordnet
- Hochbegabung:
Betroffene neigen dazu Konventionen zu hinterfragen und setzen sich darüber hinweg, wenn dadurch keine Gefahr für sie oder eine unethische Belastung der Gesellschaft entsteht -> Das ist quasi der Generalschlüssel für alles
Ich vermute stark, dass sich in jedem Leben potentielle Gründe für jede beliebige Neigung finden ließen. Warum lösen sie bei den meisten Menschen nichts aus? Keine Ahnung. Die Frage ist also, was haben wir davon, solche Überlegungen anzustellen. Ist es vielleicht eine Art Entschuldigung vor uns selbst? So in der Art: Ich kann nichts für meinen Latexfetisch. Schuld ist meine Mutter, die immer Spülhandschuhe anhatte, wenn sie mich als Baby gebadet hat.
Aber weshalb brauchen wir diese Rechtfertigung?